Direkt zur Hauptnavigation springen Direkt zum Inhalt springen

Wechsel in den Ruhestand

Herr Berkefeld, nach mehr als 40 Jahren im Schuldienst, davon die erste Hälfte in Berlin, die zweite in Potsdam, wechseln Sie zum 1. August in den Ruhestand. Erleichterung oder Trennungsschmerz?

 

Ein wenig von beidem. Nicht mehr um 5:00 Uhr aufstehen und die Woche durchorganisieren zu müssen, mehr Zeit für das Private zu haben – das ist ein Gewinn an Lebensqualität. Andererseits habe ich immer gern gearbeitet. Bis zum heutigen Tage bereitet mir meine Tätigkeit als Abteilungsleiter mehr Freude als Verdruss. Deshalb fiel es mir auch leicht, meinen Dienst um ein halbes Jahr zu verlängern, um das Schuljahr zu einem guten Abschluss zu bringen, den Übergang in das neue möglichst reibungslos zu gestalten und meiner Nachfolgerin/meinem Nachfolger den Einstieg zu erleichtern. Und im übrigen bleibe ich ja unserem Oberstufenzentrum als Vorsitzender des Fördervereins noch eine Weile erhalten.

 

 

Wenn Sie auf Ihr Berufsleben zurückblicken, was waren Ihre größten Herausforderungen?

 

Da gab es einige. Die sicherlich größte war aber die Bewältigung der Deutschen Einheit, die ich privat und beruflich in Berlin und Brandenburg erlebte. Bereits im Frühjahr 1990, als die DDR noch existierte, bildeten Kollegen meiner damaligen Berufsschulschule und ich Lehrkräfte erst des Nordens und der Mitte, später auch des Südens der DDR für die schulische Ausbildung zur/zum Sozialversicherungsfachgestellten fort, einem Beruf, den es in der DDR bis dahin nicht gab. Bei einer dieser Gelegenheiten traf ich zum ersten Mal auf meine heutige Chefin, Frau Weigel. Zum 31. Juli 1991 schlossen alle kommunalen und betrieblichen Berufsschulen im Ostteil Berlins und wurden am 1. August als Filialen West-Berliner Oberstufenzentren wiedereröffnet. Unser Kollegium wuchs mit einem Schlag auf mehr als das Doppelte. Als Fortbildner in Sachen Windows Office pendelte ich zwischen Lichterfelde und Friedrichshain. Ab 1993 zog unser Oberstufenzentrum Schritt für Schritt von Lichterfelde nach Oberschöneweide um. Im gleichen Jahr führte mich meine nebenamtliche Tätigkeit in der Lehrerfortbildung für das Fach Wirtschaftswissenschaft an der Fachoberschule und gymnasialen Oberstufe nach Ludwigsfelde ans Pädagogische Landesinstitut Brandenburg (PLIB), das heutige LISUM. Während meiner dreijährigen Tätigkeit erlebte ich mit den Kollegen alle Umbrüche des berufsbildenden Schulwesens in Brandenburg. Zum 1. Oktober 1997 trat ich dann meine heutige Stelle in Potsdam an. In all diesen Jahren habe ich unwahrscheinlich viel gelernt, z. B. was ein Polylux ist oder was „Das entscheiden wir operativ“ bedeutet, aber auch sehr viel über mein Herkunftsland, indem Kollegen Sachverhalte infrage stellten oder erläutert bekommen wollten, die mir so selbstverständlich schienen. Am meisten aber schaue ich mit Respekt und Anerkennung auf die Integrationsleistung der Menschen auf beiden Seiten.

 

 

Wie hat sich in den 40 Jahren Ihrer beruflichen Tätigkeit die berufliche Bildung entwickelt?

 

Einerseits gab es gravierende Änderungen, andererseits blieb vieles beim Alten, im Positiven wie im Negativen.

Fangen wir mit den positiven Veränderungen an: Als ich meine Laufbahn als Referendar begann, wurden unsere Auszubildenden im wahrsten Sinne des Wortes beschult. Der Unterricht fand hinter verschlossenen Türen statt und solange keine Klagen kamen, interessierte lediglich das Prüfungsergebnis der Klasse. Heute werben wir um Schüler, halten zusätzliche Angebote wie z. B. Polnisch für Spediteure, den Kaufmann für internationale Geschäftstätigkeit bereit, betreiben wir Öffentlichkeitsarbeit auf unserer Homepage, auf Bildungsmessen und zu ähnlichen Anlässen, besuchen sich Lehrkräfte gegenseitig im Unterricht. Das Schulleben ist viel transparenter und abwechslungsreicher geworden.

1979, zwei Jahre nach Beginn meines Referendariats, wurden in West-Berlin die ersten Oberstufenzentren eröffnet. Aus kleinen spezialisierten Berufsschulen mit teilweise nur einem Berufsschultag für die Auszubildenden entstanden Kompetenzzentren des jeweiligen Berufszweiges. Sie vereinigten unter ihrem Dach Berufsschule, Berufsfachschule, Fachoberschule, teilweise gymnasiale Oberstufe und förderten auf diese Weise die Durchlässigkeit unseres Bildungssystems, heute eine Selbstverständlichkeit in allen Bundesländern.

 

Mit dem Modellvorhaben des brandenburgischen Bildungsministeriums (MBJS) "Stärkung der Selbstständigkeit von Schulen" (MoSeS), das ab dem Schuljahr 2003/2004 mit 12 Schulen, darunter unserem Oberstufenzentrum, gestartet wurde, wurden die Entscheidungsbefugnisse und Verantwortlichkeiten der Einzelschulen gestärkt, was sich positiv auf die Unterrichtsversorgung sowie die Effizienz des Schulmanagements auswirkte und die pädagogischen Prozesse insgesamt positiv beeinflusste. Eine derart konstruktive Zusammenarbeit zwischen dem MBJS, der jeweiligen Schule, dem zuständigen staatlichen Schulamt und dem Schulträger hatte ich bis dahin nicht erlebt. Auch wenn einiges u.a. aus haushaltstechnischen Zwängen zurückgefahren wurde, ist dieser Prozess unumkehrbar.

 

Wo Sonne scheint, gibt es naturgemäß auch Schatten. So macht der Berufsschulunterricht nur ein Drittel der Ausbildung aus, sitzen Ausbildungsbetriebe und zuständige Stellen nach dem Berufsbildungsgesetz am längeren Hebel. Die Zusammenarbeit ist eng, konstruktiv, aber eben auch interessengeleitet, wenn es z. B. um den Besuch des Berufsschulunterrichts geht.

 

Die personelle Ausstattung der Oberstufenzentren ist weiterhin knapp und entspricht den fachlichen Anforderungen nicht immer in der gewünschten Weise. Pädagogisch habe ich eine Reihe von Konzepten erlebt, die sich bei näherem Hinsehen in ihrer Wirkung gar nicht so sehr von ihren Vorgängern unterschieden, aber mit großer Vehemenz vorgetragen, umgesetzt und später verworfen wurden. Manche Diskussionen ähnelten ihrem Charakter nach eher Glaubenskriegen als einer Suche nach bestmöglichen, den Unterrichtsalltag, die Voraussetzungen der Schüler und Lehrkräfte berücksichtigenden Lösungsansätzen.

 

In der Didaktik geht es um Ziele, Inhalte, Methoden und Medien. Dabei ist es nach meinen Erfahrungen für die Unterrichtspraxis zweitrangig, ob der Lehrplan in Kompetenzform formuliert ist oder aus Ziel- und Inhaltskatalogen besteht, der Unterricht in Fächer oder Lernfelder gegliedert wird, analoge oder digitale Medien zum Einsatz gelangen. Entscheidend ist, welche Ziele im Unterricht verfolgt werden. Wenn ich z. B. im Fach Mathematik anstrebe, dass die Schüler den Graphen einer Funktion zeichnerisch darstellen können, benötigen diese Stift, Geodreieck und Millimeterpapier. Will ich ihnen den Mauerfall nahe bringen, bietet sich ein Youtube-Video von der Pressekonferenz mit Günter Schabowski am 09.11.1989 über die neue Reiseregelung geradezu an.

 

Wissen ist „Was“, weniger „Wie“ und schon gar nicht „Wo“. Die „Zehn Merkmale guten Unterrichts“ von Hilbert Meyer - klare Strukturierung des Unterrichts, hoher Anteil echter Lernzeit, lernförderliches Klima, inhaltliche Klarheit, sinnstiftendes Kommunizieren, Methodenvielfalt, individuelles Fördern, intelligentes Üben, transparente Leistungs-erwartungen sowie eine vorbereitete Lernumgebung - sind mir bei meiner Unterrichtsvorbereitung und -durchführung seit jeher Maßstab geblieben und haben für mich nichts von ihrer Bedeutung verloren.

 

 

Herr Berkefeld: Was war förderlich, was war hinderlich für Ihre Berufsausübung als Abteilungsleiter?

 

Ich möchte drei positive Aspekte herausgreifen: Förderlich waren leistungsfähige und lernbereite Schüler. Ich denke, das gilt allgemein und für jeden Lehrer unabhängig von seiner Funktion. Gern schaue ich auf die Zeit zurück, als die Ausbildung zur/zum Sozialversicherungsfachangestellten für die überwiegende Zahl - die meisten Schüler hatten den Schulabschluss der 10. Klasse - nicht nur mit einem beruflichen, sondern auch mit einem sozialen Aufstieg verbunden war. Oder an die Abendform der Fachoberschule, bei der die Schüler parallel zu ihrer Berufsausübung die Fachhochschulreife erwarben. Das waren ungeheuer motivierte Klassen. Fruchtbar und hilfreich war die Zusammenarbeit mit Lehrkräften, die sich für ihren Bildungsgang verantwortlich fühlten und sich darüber hinaus für die Schule als Ganze engagierten. Ohne diese hätten wir das Schulprogramm nicht umsetzen, bei den Visitationen nicht so gut abschneiden und schon gar nicht Europaschule werden können, um nur einige Beispiele zu nennen. Bei meinen administrativen Aufgaben habe ich es immer als hilfreich empfunden, wenn wir in der Schulleitung Initiativen ergreifen und Entscheidungen in eigener Verantwortung treffen konnten mit dem Ergebnis passfähiger und zeitnaher Lösungen.

 

Hinderlich waren Schüler, Eltern, Lehrkräfte, Institutionen und Instanzen, und dazu zähle ich auch die Schulaufsicht und das Bildungsministerium, wenn sie die Verantwortung für ihr Tun oder Unterlassen bei der Schule abladen wollten, die Übertragung von Aufgaben, ohne dass entsprechende Ressourcen zur Verfügung gestellt wurden, Fachbedarf, der nicht abgedeckt werden konnte. Der überwiegenden Zahl engagierter Kolleginnen und Kollegen unseres Hauses steht ein kleiner Teil von Lehrkräften mit einer unterdurchschnittlich ausgeprägten Dienst- und Pflichtauffassung gegenüber, was immer wieder zu berechtigten Beschwerden von Auszubildenden und ihren Betrieben führte. Zwar gelang es der Schulleitung und mir in vielen Fällen, den Schaden zu begrenzen und Konflikte zu entschärfen, dennoch führten Mitarbeitergespräche, beratende Unterrichtsbesuche etc. nicht zu einer dauerhaften Verhaltensänderung bei diesen Kollegen. Seit Jahren kämpfen die Fachoberschulen im Lande gegen die Zunahme der Fehlzeiten von Schülerinnen und Schülern, die bei Volljährigkeit sich selbst entschuldigen oder ärztliche Bescheinigungen beibringen. Nicht nur meinem Eindruck nach handelt es sich dabei zu einem erheblichen Teil um Gefälligkeitsatteste. Die einzelne Schule steht dieser Entwicklung weitgehend machtlos gegenüber. Ich frage mich, warum sich Brandenburg nicht an den entsprechenden Berliner Bestimmungen orientiert, die eine Mindestanwesenheitszeit am Unterricht und beim Praktikum sowie eine Mindestanzahl von Leistungsnachweisen vorsehen, um z. B. die Probezeit zu bestehen oder versetzt zu werden. Ich gebe meine Hoffnung nicht auf, dass diesbezügliche von unserer Schule unterbreitete Vorschläge in eine beabsichtigte Neuregelung der Fachoberschulverordnung Eingang finden. Als problematisch sehe ich auch die Absenkung der Leistungsanforderungen in der Fachoberschule an. Die politische Absicht, dadurch mehr Chancengerechtigkeit herzustellen, erweist sich spätestens beim Eintritt in die Berufs- und Arbeitswelt oder bei der Aufnahme eines Studiums als kontraproduktiv, wenn Ausbildungsbetriebe zu recht über die mangelhaften Fähigkeiten von Bewerbern klagen oder Studierende ihr Studium abbrechen. Darüber hinaus halte ich die Absenkung der Leistungsanforderungen für ein verhängnisvolles Signal an die Gesellschaft insgesamt, weil ihr suggeriert wird, dass das Mittelmaß das Maß der Dinge ist mit der Folge, dass sie ihre Erwartungen auf Anerkennung und Belohnung entsprechend ausrichtet.

 

 

Was war Ihr größter beruflicher Erfolg?

 

Dass wir 2014 Europaschule wurden. Auch wenn ich in der Schulleitung die internationalen Aktivitäten unseres Hauses koordiniere, sehe ich das aber nicht als meinen persönlichen Erfolg an, vielmehr als den aller Beteiligten, die sich bereits in den 90er Jahren auf den Weg nach Europa machten und die heute für die Bandbreite unserer internationalen Aktivitäten stehen. Als weltoffene Schule bestärken wir unsere Schüler in ihrem Interesse für die Kultur, die Menschen, das Leben in anderen Ländern. Für mich ist das eine Herzensangelegenheit und ich bin dankbar für die vielen Begegnungen, die mir meine Tätigkeit in diesem Rahmen ermöglichte.

 

 

 

Wo steht Europa Ihrer Meinung nach in 20 Jahren?

 

Ich bin kein Prophet, aber ich setze auf die Jugend. Sie ist viel mehr durch Erasmus geprägt, als es meine Generation je war. Beruflich wie privat ist Europa für die Mehrzahl junger Menschen zu einer Selbstverständlichkeit geworden. Die Grenzen sind durchlässig, sie haben ihren trennenden Charakter verloren. Seit mehr als einem halben Jahrhundert leben wir in Frieden mit unseren Nachbarn. Ich hoffe, dass die Jugend dieses Glück empfindet und bewahrt und nicht erst dann vermisst, wenn es eingeschränkt wird oder gar verloren gegangen ist. Europa bleibt für uns alle eine ständige Aufgabe!

 

 

Was wünschen Sie Ihrer Nachfolgerin/Ihrem Nachfolger?

 

Selbstbewusstsein, Augenmaß, Ausdauer und Beharrlichkeit, Offenheit und Empathie, das Alltagsgeschäft nicht zum alleinigen Maßstab des Handelns zu machen, den am Schulleben Beteiligten mit Vertrauen zu begegnen und dabei möglichst selten enttäuscht zu werden, sich einen privaten Ausgleich zu bewahren.

 

 

Das Interview führte Jürgen Berkefeld, Abteilungsleiter der Abteilung 3.

JBerkefeld.JPG